Grundlage für das Verstehen von Schock-/Traumazuständen

Wie entsteht ein Schockzustand?

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Grundlage für das Verstehen von Schock-/Traumazuständen

Ein Schock bzw. Trauma ist eine starke und große seelische Erschütterung, die plötzlich über einen hereinbricht mit folgenden Parametern:

  • so überwältigend groβ, dass man es innerhalb der gegebenen Umständen (v.a. zeitlich) nicht verarbeiten kann
  • man fühlt sich allein und mit einer Situation konfrontiert, die einen überfordert
  • man kann sich nicht entziehen (z.B. ein Unfall, Krieg, eine Naturgewalt (Lawine, Erdrutsch, Tsunami, Vulkanausbruch usw.), plötzlicher Tod einer nahestehenden Person oder ein anderer großer Verlust, Arbeitsplatz-Kündigung oder Wohnungs-Kündigung (seitens Vermieter), Trennung von einer Partnerschaft, erzwungener Umzug an einen anderen Wohnort, Angriff auf den Körper (Schläge, Gewalt, Aggression usw.)

Weil man handlungsfähig bleiben muss in einer solchen o.g. erzwungenen Situation schüttet die Natur unseres Körpers Botenstoffe/Hormone aus, die Schmerz abschalten, Gefühle verdrängen, Denken runterfahren und mechanisches Handeln, um zunächst einmal das eigene Leben oder derer für die man sich verantwortlich fühlt (ob man es ist oder nicht) retten zu können. Über Jahrtausende hinweg war ein solches Ereignis natürlicherweise zeitlich begrenzt auf wenige Stunden oder Tage. Man konnte nachverarbeiten und die entsprechenden Unterdrückungsmechanismen im Körper (z.B. das Adrenalin/Cortisol) abbauen, um wieder entspannt und angstfrei, flexibel und offen auf eine neue Situation reagieren zu können.

Zum Beispiel haben unsere Großeltern und Eltern eine lange Zeit erlebt, wo immer wiederkehrende lebensbedrohliche Situationen in solcher Häufigkeit und Heftigkeit und Schnelligkeit hinter einander aufgetreten sind, dass keine Entspannung mehr eintreten konnte, kein Abbau des Schocks mehr möglich war und man sozusagen aus einem eigentlich vorübergehenden Notverhalten allmählich in eine Dauermentalität eingeschränkter Empfindungsfähigkeit gerutscht ist. Der Notmechanismus zur Lebensrettung ist zum Alltag geworden. Man funktioniert nur noch. Und leider haben unsere Großeltern und Eltern nicht mehr einfühlsam auf ihre sehr quicklebendigen Kinder eingehen können – aufgrund ihres eigenen Schockzustandes – und haben diesen dadurch unbewusst weitergegeben.

Woran erkenne ich, dass ich in einem Schockzustand lebe?

Nicht alle Punkte in dieser Auflistung müssen erfüllt sein, um von einem Schockzustand zu sprechen – eine Auswahl davon reicht bereits aus:

  • Wechselnde Gefühlseinbrüche von Depressionsphasen, Angst, Verzweiflung und dann wieder Überaktivität (als ob man alles kontrollieren und erledigen möchte, um aus der empfundenen unerklärlichen Belastung endlich raus zu kommen)
  • Länger andauernde Phasen von Einengung des Bewusstseins, eingeschränkte Aufmerksamkeit (Tunnelkonzentration), Multitasking und plötzliche Veränderung der Anforderung wird als Überforderung empfunden, sich ständig im regredierten Kindzustand fühlen
  • Viele Handlungen im Alltag werden mechanisch ausgeführt, ohne innere Beteiligung. Reaktionen auf äußere Auslöser werden immer wieder mit demselben Emotions-Muster beantwortet (latent aggressiv-abwehrend, latent passiv-weinend)
  • Hektik bis hin zu Fluchtreaktionen (alles hinschmeißen wollen), Desorientierung.
  • Rückzug bis hin zur Erstarrung und Ängste vor Veränderungen aller Art
  • Vegetative Überreizung: psychosomatische Körpersignale (auch Schmerzen), Schlafstörungen, nächtliche Unruhe, Schweißausbrüche, Konzentrationsstörungen, mangelnde Vertrauensfähigkeit (also ständiges Mißtrauen), ständiges sich-angegriffen-fühlen
  • Gefühlsarmut im Vergleich zu anderen Menschen (man kann sich nicht mehr richtig freuen, sich mal gehen lassen, loslassen), gefühlsflach, immer vernünftig, analytisch-kopfig, distanziert, sich ständig selbst unter Kontrolle halten.

Schock-Auslöser

(das, was einen alten Schock wieder aktiviert):

  • Gewalt – offensichtliche oder eingebildete; auch anderen Menschen gegenüber, wenn wir uns spontan mit ihnen solidarisch fühlen (z.B. Familienmitglied); auch jede Art von psychischem oder körperlich empfundenden Angriff (z.B. Corona-Virus)
  • Druck – innerer oder äußerer, auch Termindruck, direkte Leistungsvorgaben oder eingebildete Erwartungen anderer Menschen an uns
  • Verlust jeder Art (körperliche Unversehrtheit (z.B. durch OP), Umzug, Krankheit mit nachfolgender Beeinträchtigung, Trennung, Tod, materieller Schaden, Diebstahl, Unfall…)
  • Abhängigkeit – jeder Art (z.B.: jemand brauchen), finanzielle Abhängigkeit, Drogenabhängigkeit…
  • Ablehnung oder Kritik – direkte, indirekte oder eingebildete
  • Verwirrende Situationen oder Infos (doublebind Messages…), wenn jemand anderer nicht so, wie erwartet reagiert, selbst wenn es positiv sein sollte
  • verrückte oder hysterische Ausbrüche anderer Menschen, z.B. unerklärliche Aggression, doublebind-messages, Ironie mit drohendem Unterton usw.

Schockphasen

Natürlicherweise würde ein Schock nach festgelegtem Ablauf innerhalb der Psyche „durchlaufen“ und dadurch zu Ende kommen. Doch wie bereits erwähnt, kann es sein, dass die erforderliche Zeit dafür nicht reicht bis der nächste Schockauslöser bereits anläuft und sich die Wellen dadurch überlappen und überhäufen bis zur Überforderung und dem „Hängenbleiben“. Oft genug, weil man z.B. als Kind verboten bekommen hat, den Schock zu Ende kommen zu lassen indem das nötige „sich-Wehren“ unterbunden worden ist oder man den Rückzug verboten bekommen oder während der Verarbeitungsphase Schläge erhalten hat. Manchmal erkennen Menschen, dass sie dadurch in einer Schockphase hängen geblieben sind und auf unterschiedliche Reize im Leben immer mit demselben Muster antworten: z.B. immer mit demselben Rückzug/Sprachlosigkeit oder derselben Schuldzuweisung nach außen und demselben blinden Aggressionsmuster – ohne dass es je zu einer echten Erlösung käme. Der Normalzustand des „vom-Gefühl-abgeschnitten-seins“ wird dann als Nicht-Schock empfunden (weil man sich nicht anders kennt), aber dieses IST bereits Schock.

Was kann ich tun?

Zu verschiedenen Themen befinden wir uns in unterschiedlichen Phasen der Schock-Reihe. Zunächst ist es wichtig sich eine Liste der Themen anzulegen, auf welche man ständig wiederkehrend mit einem eingespielten Muster reagiert. Dann könnte man dieses Muster der Schock-Verarbeitungsreihe zuzuordnen.

Also z.B. wenn ich keine Anerkennung bekomme, reagiere ich mit Schmollen und Rückzug; wenn ich einen Verlust erleiden muss (Auto geht kaputt) dann reagiere ich mit Wut; wenn ich Termin-Druck bekomme, reagiere ich ebenfalls mit Verweigerung/Rückzug; wenn ich mit irritierenden Gefühlen anderer Menschen konfrontiert bin mit denen ich nicht umgehen kann (z.B. weinende, jammernde Frauen) reagiere ich mit Aggression usw.

Wenn man dadurch die nächste Stufe der Schock-Verarbeitungsreihe kennt, könnte man das übliche Verhaltensschema durchbrechen und den nächsten Schritt der Reihe aufgreifen. Das würde bedeuten, dass man der Heilung einen Schritt näher gekommen ist. Ist dies gelungen, dann versucht man hinzuspüren und für sich – z.B. während einer elementaren Selbsterfahrungs-Stunde – die restlichen Schritte bewusst zu erleben und durchlaufen zu lassen. Dadurch würde dieses jeweilige Thema nach und nach losgelöst werden können und kein Auslöser eines bestimmten Schockmusters mehr darstellen. Dies wäre der Heilungsweg.

Der Schock-Domino-Effekt

Ein Schock läuft in einer von der Natur festgelegten Reihenfolge durch folgende Phasen – wobei eine einzige Phase sehr kurz (wenige Minuten) oder sehr lang (viele Jahre) dauern und auch mal vor und zurück gehen kann:

  1. Auslöser setzt einen Schmerzimpuls: Ein körperlicher oder seelischer Schmerz (stark bis schwach) setzt die Schockreaktion in Gang, die folgendermaßen abläuft:
  2. Innehalten: spontanes Angstgefühl (leicht bis intensiv), Hormone steuern körperliche Reaktionen (bis hin zu einem medizinischen Schock)
  3. Schutzreflex: Rückzug, Abstand suchen zur Neuorientierung (ganz bis nur ein Moment), Erstarrtsein, vom Gefühl abgeschnitten sein, gelähmt sein, körperliche Spannung (auch Verkrampfungen bis zum Zittern)
  4. Irritation: Hilflosigkeit, Alleinsein, Ausgeliefert sein, Konfus sein, Sprachlosigkeit
  5. Leid: Trauer, Wehrlosigkeit, Erschütterung, betroffen sein, Depression, Unruhe, Schlaflosigkeit, Zittern durch festgehaltene Emotionen, Leiden
  6. Abwehr: Schuldzuweisung, Ärger, Vorwurf, Widerstand
  7. Rache: körperliche Entladung (z.B. durch Sport bis zur Erschöpfung), Bestrafungsaktion. Wichtig ist das körperliche Bedürfnis zuzuschlagen, welches auf ein Kissen/Boxsack etc gefahrlos umgesetzt werden könnte, Bioenergetik etc. hilft ebenfalls gezielt, diese Phase durchlaufen zu lassen und die Rache auszudrücken, sonst würde es sich unbewusst ausagieren durch Handlungen, die dem anderen Schaden zufügen sollen (z.B. bloß stellen, Rufmord, Mobbing, Psychoterror, Drohungen und Aggression aller Art). Hier ist die größte Gefahr, dass man übertreibt und falsche Entscheidungen trifft, die nicht in die Öffnung führen, sondern die Schock-Kette von vorne starten, weil man wieder in Kontakt kommt mit dem ursprünglichen Schmerz und Angst bekommt vor der Gegenreaktion – meist gefolgt von wiederholter Verdrängung und scheinbarer Normalität (wieder abgeschnitten sein vom Gefühl (Punkt 3). Überreaktionen zeigen, dass wieder ein „Knopf“ ausgelöst wurde, der unbewusst einen erneuten Schock in Gang setzt. Wenn der Ursprung des Schocks in allen Facetten wirklich erkannt, erlebt, verstanden und losgelassen wurde und sich wirklich löst, setzt ein
  8. Öffnung: innere Erleichterung, Entspannung, Freude, Vertrauen, Leichtigkeit, Herzlichkeit, Vergebung, Klarheit, Mitgefühl. Wenn es zu Ende gekommen ist, erlebt man das Gefühl von Befreiung und Loslassen.

Woran erkenne ich, dass ich durch den Schock hindurch gekommen bin?

Es fühlt sich auf einmal freudig und leicht und offen. Man hat plötzlich keine Angst mehr verletzt zu werden. Ärger/Schuldzuweisung und all der innere Groll ist auf einmal weg. Man fühlt sich tatsächlich wie befreit. Die Begegnung mit diesem Menschen oder einer ähnlichen Situation ist von Verständnis und Offenheit geprägt, ohne Vorbehalte. Viele Gefühle in feinsten Abstufungen werden wahrgenommen, ein Leben voller Lebendigkeit, vielfältig und facettenreich – mit kindlicher Fülle, Tiefe und Intensität. Gefühle, die bunt und schnell wechseln – ein Kaleidoskop der Innenwelt, die nicht bedrohlich wirkt und durchdrungen ist von einem feinen Gefühl von Seligkeit, Zeitlosigkeit und Lebensfreude.

Am besten und am schnellsten: lassen Sie sich dabei unterstützen durch eine erfahrene Begleitung an Ihrer Seite! Denn jeder Mensch wird spontan unbewusst und innerlich „blind“, wenn Schockthemen berührt werden. Man kann sich daher nicht selbst klar und bewusst durch eine solche Aufarbeitung hindurch führen. Es braucht jemand von außen, der einem – wenn man selbst gerade im Sumpf steckt – den rettenden Ast hinhalten kann.

Erst muß es zum totalen Offenbarungseid und zum Schock kommen. Erst dann kann man erfolgreich mit einem neuen Aufbau beginnen. (F.J.Strauß) Aber auch spirituelle Meister sprechen davon, dass das Ego, die Persönlichkeit, wenigstens ein einziges mal grundlegend mit allem auf allen Ebenen scheitern muss, bis sich Hingabe einstellen kann. So lange man sich hingeben möchte, kann man es sich ja auch wieder anders überlegen. Erst wenn man keine Wahl mehr hat, findet Hingabe statt. So kann ein Schock auch ein Segen sein.